„Espace en flux²“
Ab Mitte Juli 2025 und bis zu seiner Umnutzung beherbergt das symbolträchtige Gebäude im Bahnhofsviertel in der Rue de Strasbourg Nr. 15 das Projekt „Espace en flux“, das Geschichte mit Design verbindet. In den Schaufenstern des aktuell leerstehenden Hauses werden Illustrationen der Designerin Ruth Lorang zu sehen sein, die die lebendige Vergangenheit des Hauses nachzeichnen: Hier waren einst der „Sporting Club“, das „Hotel Sporting“, die Diskothek „Whisky à gogo“ sowie die Brasserien „Le Coral“ und „Marionnette“ untergebracht. Neugierige Passantinnen und Passanten sowie Geschichtsinteressierte können die von dem Historiker Robert L. Philippart verfassten Texte lesen und so mehr über das Haus erfahren.
„Sporting“
Das Hotel Sporting war das erste Hotel in Luxemburg, das Sporteinrichtungen umfasste.
Der Sport als gemeinschaftliche Praxis erlebte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung. Dieser stand in engem Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung, die Hygiene und Pädagogik in der damaligen Zeit erlangten. Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wurden 1896 ausgetragen, die ersten Olympischen Winterspiele 1924.
Soziale Bedeutung des Sports
Der 1908 gegründete Sporting Club de Luxembourg propagierte die Leichtathletik unter luxemburgischen Jugendlichen und verfolgte das Ziel, die Bekanntheit und Beliebheit aller Arten von Sport zu steigern. Auch mehrere Fußballvereine nahmen den Namen „Sporting“ an. Ab 1920 lud der „Sporting Palace“ während der Schueberfouer zu Leichtathletik- und Ringkampfveranstaltungen ein. Im Jahr 1926 wurde das auf Sportbekleidung spezialisierte Geschäft „Sporting Palace“ am Boulevard du Viaduc (heute Boulevard F.D. Roosevelt) eröffnet, das jedoch 1929 seine Türen wieder schloss. Der Sporting Club de Luxemburg hatte 1911 seinen ersten Boxabend im Hotel de Cologne (Avenue de la Porte Neuve) veranstaltet. Nach der Gründung der Ligue de la Ville de Luxembourg des Poids-haltères im Jahr 1924 hielten Kampfsportveranstaltungen Einzug in das Hotel des Postes (Avenue de la Gare Nr. 39). Anfänglich wurde im Anschluss an die Wettkämpfe ein Sketch aufgeführt, an den sich ein Tanzfest anschloss; später wurden die Wettkämpfe als abendfüllende Show inszeniert. 1930 wurde der zweite Sporting Club de Luxembourg im Hotel des Postes gegründet. Auf den Gründungsakt folgte ein Galaabend mit nationalen und internationalen Wettkämpfen. In den darauffolgenden Jahren wurden dort Boxgalas mit Profiboxer und -boxerinnen veranstaltet.
Jean-Pierre Goldschmit, der Gründer des Hotels Sporting
Die Music-Hall Adolphe Amberg „Vieux Luxembourg“ in der Avenue de la Liberté bot ab 1913 Varietéabende an, die oft auch Leichtathletik und Gymnastik umfassten. Nach dem ersten Weltkrieg fanden Ringen und Boxen im „Variété Amberg“ wieder zunehmendes Interesse. Das Escher Tageblatt notierte am 13. August 1917 über das Chalet „Variété Amberg“ auf der Schueberfouer: „Eine Anzahl Männer des Volkes, die in der Arbeit ihre Kraft und Muskeln gestählt haben und in ihrer Mussezeit sich etwas von der Ringerkunst angeeignet haben, streiten alltäglich bis zehn Uhr abends im Variété Amberg um die Palme des ‚goldenen Gürtels von Luxemburg‘“.
Jean-Pierre Goldschmit (1891–1965) war Direktor der „Variétés Amberg“ und gründete 1932 das Hotel Sporting in der Rue de Strasbourg. Nachdem Goldschmit Amberg 1928 verlassen hatte, übernahm er die Geschäftsführung des Hotels Carlton und der Bar „Le Perroquet“ in der Rue Dicks. 1930 wurde er Gründungsmitglied des „Vereins der Saalbesitzer von Stadt und Land“, einer Berufsgewerkschaft, die die Interessen der Besitzer/innen von Festsälen und Tanzlokalen vertrat.
Jean-Pierre Goldschmit hatte 1932 die Parzelle Nr. 15 in der Rue de Strasbourg von Auguste Link, einem Kolonialwarenhändler in der Rue des Bains, erworben.
Die Architektur des Hotels Sporting erinnert an die Gebäude, die der spätere Staatsarchitekt Hubert Schumacher in seiner Zeit als privater Architekt entwarf. Schumacher zeichnete beispielsweise für die Erweiterung der Luxemburger Kathedrale verantwortlich und war später Architekt am großherzoglichen Hof. Die Fassade des Sporting weist in der Mitte ein unsigniertes Medaillon auf, das einen Athleten mit einem Speer zeigt. Diese Darstellung steht in direktem Zusammenhang mit der Bestimmung, die Goldschmit für seinen Bau vorgesehen hatte: Speerwerfen ist eine Disziplin der Leichtathletik. Der Speer ist ein altes Symbol, das mit Kriegern, der Jagd sowie antiken Spielen in Zusammenhang gebracht wird. Im modernen Kontext symbolisiert er Stärke, Präzision und Disziplin.
Zur Zeit des Baus erlebte der obere Teil der Rue de Strasbourg eine rasche Entwicklung und die Gebäudedichte nahm zu, unter anderem mit der Eröffnung mehrerer Hotels und des Verwaltungsgebäudes der luxemburgischen Nationalen Krankenkasse für Arbeiter.
Das Hotel Sporting verfügte über 20 Zimmer mit Warm- und Kaltwasser, Badezimmer im Obergeschoss sowie eine Zentralheizung. Es umfasste jedoch kein Restaurant und bot lediglich ein Frühstück an. Im Erdgeschoss befand sich ein 350 m² großer Saal, der im Laufe der Zeit unterschiedlichen Zwecken diente.
Erstes Sporthotel in Luxemburg
Jean-Pierre Goldschmit schlug vor, das Hotel auf die Ausübung von Sport auszurichten – eine Neuheit, die es in dieser Form in Luxemburg noch nicht gab. Im Jahr 1933 widmeten sich die Gäste zu den Rhythmen des Orchesters der Florida Boys verschiedenen sportlichen Übungen. Im darauffolgenden Jahr verfügte das Sporting bereits über „Home-Trainer“ und veranstaltete Rennen auf diesen fest installierten Fahrrädern. „Diese Anlage, die wohl einzigartig hierzulande ist, besteht aus 6 oder vielmehr 18 Rollen, die in verschiedenen Farben gehalten sind. Über den Rennfahrern befindet sich eine große runde Scheibe, auf der neben einer Meter- respektive Kilometerbolle 6 Zeiger angebracht sind, die mit ihrer resp. Rolle korrespondieren und den jeweiligen Stand der einzelnen Fahrer genau angibt (…)“ (Luxemburger Wort, 7. Dezember 1934). Der nationale Meister im Radsport Maurice Gillen (1894–1975), der Luxemburg bei den Olympischen Spielen 1924 vertreten hatte und bei den Olympischen Spielen 1936 als Trainer der luxemburgischen Radsportler fungierte, stellte 1934 den bis dahin modernsten Typ eines Heimtrainers vor und organisierte Inhouse-Radrennen im Saal des Sporting.
Im Januar 1935 wurde im Hotel Sporting der „Punching Club Luxembourg“ gegründet. Sein Besitzer J.P. Goldschmit war nicht nur Gründungsmitglied dieses Boxclubs, sondern auch Mitglied seines Verwaltungsrats. Seitdem verlagerten sich die Boxwettkämpfe vom Hotel des Postes ins Sporting. Im Jahr 1936 gab der luxemburgische Boxchampion Emile Konter (1911–1973), der Luxemburg bei internationalen Meisterschaften in Rotterdam, Berlin, Wien, Düsseldorf, Dortmund und Paris vertrat, Box- und Fitnessunterricht im Saal des Sporting, der „mit sämtlichen modernen Geräten sowie warmen und kalten Duschen“ ausgestattet war (Luxemburger Wort, 18. Januar 1936). In dem Saal wurden bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs nationale und internationale Boxmeisterschaften ausgetragen. Georges Schiltz, Turnlehrer am Athénée und später selbstständiger Masseur, bot im Sporting auch Boxkurse an. Darüber hinaus organisierten der Versicherungsverband der privaten Fahrer, der Automobilclub, der luxemburgische Leichtathletikverband und die Freiwillige Feuerwehr ihre Kongresse und Feiern im Sporting.
Bei Bombenangriffen beschädigt
Der dritte Luftangriff der Alliierten auf den Bahnhof von Luxemburg am 9. August 1944, mit dem die Besatzer zurückgedrängt werden sollten, beschädigte auch den rückwärtigen Teil des Hotels Sporting. Die Restaurierung des Gebäudes bot sich als Gelegenheit für Umbauarbeiten an. Für diese Arbeiten konnte Jean-Pierre Goldschmit den Architekten Paul Dornseiffer gewinnen. Dornseiffer (1902–1978) gehörte zu den Experten für Schäden an Gebäuden und war direkt an den Wiederaufbauarbeiten im Land beteiligt. Darüber hinaus ist Paul Dornseiffer für den Bau der Brauerei Henri Funck in Neudorf, des Hotels Esplanade in Remich sowie des Erweiterungsflügels der ehemaligen Ecole d’Artisans de l’Etat bekannt. Der Architekt hatte das Erdgeschoss in eine Tanzbar mit Speisenangebot (Buffet) und Kegelbahn in einem „modern style“ umgewandelt. Die Anzahl der Unterkünfte wurde auf 14 reduziert, um eine größere Anzahl von Zimmern mit eigenem Bad anbieten zu können. Auch nach den Umbauten lag das Hotel bezüglich der Zimmerpreise weiterhin im unteren Bereich. Ab 1991 wurde das Hotel nicht mehr im offiziellen Hotelführer des Nationalen Fremdenverkehrsamts aufgeführt.
Sydney Bechet im Sporting
Mit der Eröffnung des „Dancing Sporting Club“ begann sich eine ganz andere Art von Veranstaltungen zu entwickeln. Das Haus bot nun donnerstagabends Wiener Abende bei Kerzenschein, Akkordeonabende mit dem französischen Komponisten Albert Souvignier, Abende mit Jazzkonzerten sowie Tanzfeste an, die oft von der Freiwilligen Feuerwehr der Hauptstadt organisiert wurden. Außerdem fanden in dem Saal Familienfeiern, Hauptversammlungen oder auch Versteigerungen statt. Nicht zuletzt wurde er gelegentlich für die Ausstellung industrieller Reinigungsmaschinen oder einfache Modenschauen genutzt.
Unter den Jazzkonzerten ist der Auftritt des berühmten Saxofonisten Sydney Bechet aus New Orleans (1897–1959) besonders hervorzuheben, der in Begleitung des französischen Jazzmusikers André Réwéliotty (1929–1962) spielte. Mit über einer Million verkaufter Platten zählte Bechet, meist begleitet von Réwéliotty, zu den renommiertesten Musikern der damaligen Zeit.
Diskothek und Brasserie
Die Führung des Etablissements lag die meiste Zeit über in Frauenhand – und sie wechselte häufig, wie die zahlreichen Ankündigungen von Neueröffnungen belegen. Von 1976 bis 1978 wurde das Erdgeschoss in eine Diskothek umgewandelt, die zunächst „Whisky à gogo“ hieß, im darauffolgenden Jahr aber in „Le bagatelle“ umbenannt wurde. Das Unternehmen Café Dancing Sporting wurde 1988 aufgelöst. Von 1995 bis 2015 waren in der Rue de Strasbourg Nr. 15 die Café-Brasserie „Le Coral“ und von 2015 bis 2024 die Brasserie und Pizzeria „Marionnette“ untergebracht.